Österreichischer Mini-Klimasatellit startete am 11. Oktober ins All

Am Mittwoch, 11. Oktober 2023, wurde ein in Österreich gebauter und vom Klimaschutzministerium (BMK) über die Europäische Weltraumagentur (ESA) finanzierter Klimaforschungssatellit in den Weltraum geflogen. Der Minisatellit PRETTY misst das Ausmaß von Eisbedeckungen und Wellenhöhe, Meeresströmungen der Ozeane sowie den Einfluss des Weltraumwetters auf die Lebensdauer von Satelliten.

Mini-Klimasatelit
Bundesministerin Leonore Gewessler mit Mini-Klimasetelliten, Foto: BMK / Cajetan Perwein

Am 11. Oktober startete der österreichische Nanosatellit PRETTY an Bord einer Vega-Rakete vom europäischen Weltraumbahnhof im südamerikanischen Kourou ins All. Als Teil der weltweiten Umwelt- und Wetterbeobachtung der ESA soll er den Klimawandel erforschen und zur Nachhaltigkeit im Weltraum beitragen. Entwickelt wurde der Satellit von Beyond Gravity Austria als Hauptauftragnehmer gemeinsam mit der TU-Graz sowie der Seibersdorf Labor GmbH für die ESA. 

Neue Technologien zur Erforschung des Klimawandels

Der von Österreich im Rahmen des ESA-Technologieprogramms GSTP finanzierte Nanosatellit trägt dazu bei, neue Technologien zur Erforschung des Klimawandels und zur Nachhaltigkeit im Weltraum zu etablieren. Eine solche neue Technologie ist insbesondere das PRETTY-Hauptinstrument, ein von Beyond Gravity entwickeltes Reflektometer. Es bestimmt Eisbedeckungen auf der Erdoberfläche sowie die exakte Höhe der Meeresspiegel und die Intensität von Meereswellen. Von der Seibersdorf Labor GmbH stammt das zweite Instrument, ein Strahlungsdetektor. Dieser misst die Weltraumstrahlung und beurteilt die Effekte auf die Elektronik des Satelliten und trägt mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen zur Nachhaltigkeit von Weltraummissionen bei. Beide Instrumente werden gänzlich neue Messverfahren anwenden.

„Das Schmelzen von Eisflächen und der Anstieg der Meeresspiegel zählen zu den sichtbarsten Beispielen für die Ausprägung der Klimakrise. Mit dem österreichischen Klimasatelliten PRETTY haben wir dafür eine neue und genauere Messmethode aus dem All. Die Daten werden der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die Erkenntnisse aus der Mission tragen so zur Nachhaltigkeit auf Erde und im Weltraum bei“, betont Klimaschutz- und Weltraumministerin Leonore Gewessler.

Neue Weltraumtechnologien kostengünstig ausprobieren

„Kleinsatelliten sind ein wichtiges Element, um die Weltraumforschung entscheidend voranzubringen. Mit Kleinsatelliten eröffnen sich viele Möglichkeiten, neue Weltraumtechnologien rasch und kostengünstig auszuprobieren“, sagt Andreas Geisler, Leiter der Agentur für Luft- und Raumfahrt der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), die im Auftrag des BMK die österreichischen Weltraumaktivitäten fördert. „Aus diesem Grund haben wir mit der ESA eine Ausschreibung und technische Betreuung der Satellitenentwicklung konzipiert, die genau auf die österreichischen Bedürfnisse zugeschnitten ist.“

Entwickelt und gebaut in Österreich

Der Nanosatellit PRETTY (Passive Reflectometry and dosimetry) wird der fünfte Satellit „Made in Austria“ im Weltall sein. Es ist bereits der dritte Nanosatellit aus den Labors der TU-Graz, die auch die Bodenstation der Satellitenmission betreibt.

„Die Analyse des Klimawandels und wie wir dessen Herausforderungen begegnen, sind zentrale Forschungsthemen der TU-Graz. Der Satellit PRETTY wird hierfür einen wichtigen Beitrag leisten. Mit den anspruchsvollen wissenschaftlichen und technologischen Herausforderungen von Satellitenmissionen ist die TU-Graz bestens vertraut. Mit TUGSAT-1 und OPS-SAT konnten wir mit der Konstruktion und Produktion von Satelliten sowie deren Überwachung von der Erde aus über viele Jahre Erfahrung sammeln“, sagt Harald Kainz, Rektor der TU-Graz.

Gesamtverantwortung für eine Raumfahrtmission

PRETTY ist ein Nanosatellit aus drei Würfeln von jeweils zehn mal zehn mal zehn Zentimetern. Der Satellit ist eine In-Orbit-Demonstrator-Mission der ESA und wird die Erde in einer polaren Umlaufbahn in rund 600 Kilometern Höhe umkreisen. Entwickelt und gebaut wurde der PRETTY-Klimasatellit vollständig in Österreich.

„Zum ersten Mal hatten wir die Gesamtverantwortung für eine gesamte Raumfahrtmission, ein Ritterschlag für jedes Weltraumunternehmen“, so Kurt Kober, Geschäftsführer von Beyond Gravity Austria (ehemals RUAG Space), Österreichs größtem Weltraumzulieferer.

Das Unternehmen mit Sitz in Wien-Meidling ist Marktführer etwa bei Produkten für die präzise Positionsbestimmung von Satelliten im All oder dem Hitze- und Kälteschutz von Satelliten.

Genaue Höhenmessungen

Das Hauptinstrument von PRETTY ist ein von Beyond Gravity in Wien entwickeltes Instrument zur sogenannten passiven Reflektometrie. 

„Dieses Instrument erlaubt besonders genaue Höhenmessungen bis in den Dezimeter- und Zentimeterbereich“, so Projektleiter Walter Hörmanseder von Beyond Gravity.
Andreas Dielacher, der zuständige Systemingenieur bei Beyond Gravity ergänzt: „Die interferometrische Methode wird erstmalig im All angewandt. Dabei werden empfangene Signale der EU-Navigationssatelliten Galileo und der US-Navigationssatelliten GPS verwendet, um sie mit an der Erdoberfläche reflektierten Signalen zu korrelieren. Daraus lassen sich unter anderem die Höhe von Wellen und Eiskappen bestimmen, aber auch Windgeschwindigkeiten oder Bodenfeuchte. Die gewonnenen Daten werden von einem internationalen Wissenschaftsteam ausgewertet, das auf diese dringend wartet.“

Die Daten werden der Öffentlichkeit frei zur Verfügung gestellt. 

Weltraumwetter erfordert robuste und nachhaltige Satellitensysteme

Satelliten sind im Weltraum einer sehr herausfordernden Umgebung ausgesetzt. 

„Weltraumwetterereignisse, wie beispielsweise Sonnenstürme, haben Auswirkungen auf den Flugverkehr, Kommunikations- und Navigationssysteme, sowie auf die Stromversorgung auf unserer Erde und können Satelliten und Astronauten im All gefährden“, so Peter Beck, Leiter Strahlenschutz, Weltraumwetter und Strahlungsfestigkeit bei Seibersdorf Laboratories. „Daher sind Prüfungen bezüglich Strahlungsfestigkeit von Satellitenkomponenten essenziell für die Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit von Weltraummissionen.“

Seibersdorf Laboratories stellt der internationalen Weltraumindustrie Prüfungen auf Strahlungsfestigkeit als kommerziellen Service zur Verfügung.

Referenzdosimetrie

SATDOS, die zweite Nutzlast von PRETTY, wurde von Seibersdorf Laboratories entwickelt. SATDOS liefert mit Hilfe von mehreren Strahlungssensoren Erkenntnisse zu Sonnenaktivität und Weltraumwetter. Die im Rahmen von PRETTY entwickelte SATDOS Referenzdosimeter-Plattform misst den Einfluss der Strahlungsumgebung im Weltall auf Elektronikbauteile, wie sie vielfach in allen modernen Geräten und natürlich auch in Satelliten zum Einsatz kommen.

„Die gemessenen Strahlungseffekte erlauben Rückschlüsse auf das aktuell vorherrschende Weltraumwetter und die Zuverlässigkeit von Elektronik in Satelliten“, erklärt Christoph Tscherne, Experte für Strahlungsfestigkeit und Projektleiter für PRETTY bei Seibersdorf Laboratories, „damit trägt die Referenzdosimetrie-Plattform SATDOS zur Nachhaltigkeit von Weltraummissionen bei.“

PRETTY ist der fünfte Austrosatellit im All

PRETTY ist der dritte Satellit aus den TU-Graz-Laboren und wird der fünfte Austrosatellit im All sein. Die bisherigen österreichischen Satelliten (allesamt Kleinsatelliten) im Überblick:

  • TUGSAT-1 der Technischen Universität Graz
  • UniBRITE der Universität Wien (TUGSAT-1 und UniBRITE sind Teil einer Flotte von fünf Nano-Satelliten, die Helligkeitsschwankungen von Sternen messen; beide seit 2013 im All)
  • PEGASUS der FH Wiener Neustadt (untersucht die Beschaffenheit der Erdatmosphäre; seit 2017 im All)
  • OPS-SAT der TU-Graz (weltweit erste öffentlich zugängliche in-orbit Testplattform zur Erprobung neuer operationeller Technologien und Weltraumsoftware; erste ESOC Nanosatellitenmission; seit 2019 im All)

Alle Kleinsatelliten wurden vom BMK als Weltraumministerium entweder aus ESA- oder aus nationalen Mitteln über die FFG gefördert.

Genannte Organisationen und Unternehmen

Beyond Gravity Austria (vormals RUAG Space) mit Sitz in Wien-Meidling ist mit rund 42 Millionen Euro Umsatz (2022) und rund 240 Mitarbeitenden das größte österreichische Weltraumtechnikunternehmen. Das Hochtechnologieunternehmen rüstet weltweit Satelliten und Trägerraketen mit Elektronik, Mechanik und Thermalisolation aus und hat eine Exportquote von rund 100 Prozent. Die Firma ist in Europa Marktführer bei Navigationsempfängern und Thermalisolation für Satelliten. Die meisten Satelliten und Raumsonden der ESA werden mit Thermalschutzhüllen von Beyond Gravity Austria ausgerüstet. Als Spin-off der Weltraumaktivitäten produziert das Unternehmen auch Thermalisolation für Anwendungen auf der Erde, zum Beispiel in der Medizintechnik (Magnetresonanztomographen). Beyond Gravity Austria ist Teil des Weltraumzulieferers Beyond Gravity mit Hauptsitz in Zürich, Schweiz, mit insgesamt rund 1.600 Mitarbeitenden an zwölf Standorten in sechs Ländern (Schweiz, Schweden, Österreich, Deutschland, USA und Finnland).

Die TU Graz ist die traditionsreichste technisch-naturwissenschaftliche Forschungs- und Bildungsinstitution in Österreich und spielt seit über 200 Jahren eine zentrale Rolle im internationalen Forschungs- und Bildungsnetzwerk. In ihren fünf Exzellenzbereichen, den Fields of Expertise, erbringt die TU Graz internationale Spitzenleistungen. Dabei setzt sie auf intensive Zusammenarbeit mit anderen Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie mit Wirtschaft und Industrie weltweit. Die TU Graz hat sieben Fakultäten mit rund 100 Instituten und beschäftigt knapp 4.000 Mitarbeitende. 13.700 Studierende aus 100 Ländern studieren an der TU-Graz. Aufbauend auf wissenschaftlichen Bachelor-Studiengängen, konzentriert sich die TU-Graz auf forschungsorientierte Master-Studiengänge, die zunehmend in englischer Sprache angeboten werden, und auf PhD-Programme. Die fünf thematischen und disziplinübergreifenden Stärkefelder der TU-Graz – ihre Fields of Expertise – sind: Advanced Materials Science, Human & Biotechnology, Mobility & Production, Sustainable Systems sowie Information, Communication & Computing.

→ tugraz.at

Seibersdorf Labor GmbH (auch: Seibersdorf Laboratories) ist ein führendes Unternehmen für hochwertige Labordienstleistungen und Messtechnik. Die forschungsbasierten Aktivitäten umfassen u. a. Weltraumwetter und Dienstleistungen für die Luftfahrtdosimetrie, Strahlungsfestigkeitsprüfungen von Elektronikbauteilen und Systemen, sowie Entwicklungen von Strahlungssensoren. Seibersdorf Labor GmbH verfügt über modern ausgestattete Einrichtungen in den Bereichen Chemie, Pharmazie, ionisierende und nicht-ionisierende Strahlung. Österreichweit einzigartig ist das sogenannte TEC-Laboratory (TEC: Testing of Electronic Components) für die Prüfung der Strahlungsfestigkeit von elektronischen Bauteilen gemäß dem internationalen Standard ISO/IEC 17025 und Weltraum-Standards von ESA. Darüber hinaus veranstaltet die Seibersdorf Labor GmbH jährlich das RADHARD Symposium, eine Konferenz zum Thema Strahlungsfestigkeit.

→ radhard.eu

Die FFG ist die nationale Förderagentur für angewandte Forschung und Entwicklung in Österreich und unterstützt österreichische Unternehmen, Forschungsinstitutionen und Forschende mit einem umfassenden Angebot an Förderungen und Services. Mit der Agentur für Luft- und Raumfahrt (ALR) ist die FFG die Andockstation für Österreichs Wirtschaft und Wissenschaft zur internationalen Raumfahrtszene. Sie setzt die heimische Luft- und Raumfahrtpolitik um und vertritt Österreich in internationalen Gremien der Luft- und Raumfahrt. Die FFG steht im Eigentum der Republik Österreich. Eigentümervertreter des Bundes sind das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) und das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW).

Weltraumforschung und Weltraumtechnik (→ ffg.at)