Klimafreundliches Leben braucht geeignete Strukturen  Neuer Expert:innenbericht: Klimafreundliches Leben muss Normalität werden

Wie klimafreundlich kann man in Österreich leben? Ist dies leicht oder schwer umzusetzen? Und welche Transformationspfade hin zu klimafreundlichem Leben gibt es? Diese Fragen beantwortet der neue APCC Special Report „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“, der heute von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher gemeinsam mit Karl Steininger, Universität Graz und Andreas Novy, Wirtschaftsuniversität Wien, präsentiert wurde.

Gruppenfoto bei der Pressekonferenz: Karl Steininger, Martin, Kocher, Leonore Gewessler, Andreas Novy
Klimafreundliches Leben braucht geeignete Strukturen, Foto: BMK / Cajetan Perwein

Der vom Klima- und Energiefonds in Auftrag gegebene Bericht – dotiert aus Mitteln des Klimaschutzministeriums – wurde von mehr als 80 renommierten Wissenschaftler:innen aus den verschiedensten Disziplinen erstellt, von mehr als 180 Expert:innen begutachtet und von einem umfangreichen Stakeholderprozess begleitet. 

Es ist in Österreich derzeit schwierig, klimafreundlich zu leben – so die Bilanz des mehr als 700 Seiten umfassenden Special Report des Austrian Panel on Climate Change (APCC). Damit klimafreundliches Leben attraktiv, dauerhaft möglich und auch selbstverständlich wird, braucht es weitreichende und vielfach strukturelle Veränderungen in allen Lebensbereichen. Aktuell fördern die bestehenden Rahmenbedingungen oftmals klimaschädigendes Verhalten und erschweren klimafreundliches Leben, so die Autor:innen. Als konkrete Beispiele nennen sie u. a. die Ausgestaltung kommunaler Abgaben, welche die Ansiedlung von Betrieben und Einkaufszentren an Orts- und Stadteinfahrten begünstigen und damit hohen zusätzlichen Autoverkehr auslösen.

Für die Autor:innen ist klar: Menschen allein zu klimabewusstem Handeln aufzufordern reicht nicht. Fehlen die entsprechenden Rahmenbedingungen, ist es für Bürger:innen schwer, klimafreundlich zu leben. Als Beispiel herausgegriffen betont der Bericht die Bedeutung der Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbaufördermittel. Diese seien gezielt auf einen ressourcenschonenden und klimafreundlichen Wohnbau auszurichten. Dies beinhaltet den Umbau dem Neubau vorzuziehen und verstärkt den gemeinnützigen Wohnbausektor im Blick zu haben. Die Verwendung klimafreundlicher Konstruktionsweisen, Materialien und Wärmesysteme sei zudem zu fördern.

Für eine wirksame Klimapolitik, so die Kernaussage, ist die Gestaltung von Strukturen zentral. Gefordert wird daher ein koordiniertes und zielgerichtetes Handeln auf politischer, wirtschaftlicher sowie gesellschaftlicher Ebene.

Als ein gelungenes Beispiel hierfür nennt der Bericht die Einführung des österreichweiten Klimatickets. Auch die Erhöhung der Normverbrauchsabgabe (NoVA) und der motorbezogenen Versicherungssteuer (mVSt) als Teile der Ökosozialen Steuerreform sowie der Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen seien erfolgreiche Beispiele für klimafreundliche Strukturen.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler: „Der Bericht zeigt klar – wer klimafreundlich leben möchte, der braucht dafür auch die geeigneten Rahmenbedingungen. Das heißt für uns: in vielen Bereichen weiter daran zu arbeiten die Rahmenbedingungen für einen klimafreundlichen Lebensstil zu verbessern. Dazu braucht es die Zusammenarbeit aller. Wir müssen an einem Strang ziehen, um unsere langfristigen Klimaziele, wie etwa die Klimaneutralität bis 2040, zu erreichen.“
 

Im Bereich Arbeit – so die Expert:innen – machen es falsche Preissignale häufig schwierig, klimafreundlich zu investieren und klimafreundliche Erwerbsarbeit wird durch treibhausgasintensive Arbeitsplätze erschwert. Gleichzeitig eröffnet der nachhaltige Umbau der Wirtschaft neue Berufsfelder, die eine weitreichende Qualifizierungsstrategie notwendig machen.

Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher: „Die Klimakrise und der Fachkräftemangel machen es gleichermaßen deutlich: Um den Wohlstand der Menschen in unserem Land zu sichern und den Standort Österreich im globalen Wettbewerb weiterhin attraktiv zu halten, braucht es zukunftsorientierte Ausbildungen und Jobs, die mit einer nachhaltigen Transformation Schritt halten, gleichermaßen wie Forschung und Innovation. Als BMAW setzen wir vielschichtige Maßnahmen in den Bereichen Arbeit und Wirtschaft. Diese reichen von Qualifizierungsprogrammen des AMS bis hin zu Begleitmaßnahmen zur Transformation der Wirtschaft, damit die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs im internationalen Umfeld erhalten bleibt.“

Koordinierte und zielgerichtete Strukturveränderungen sind unerlässlich

Der Bericht zeigt, dass bei verantwortlichen Akteuren, die Strukturen klimafreundlich gestalten können, oftmals Bewusstsein und Engagement fehlen, bestehende Gestaltungsspielräume zu nutzen und neue zu schaffen. Selbst wenn die Klimakrise medial an Fahrt aufgenommen hat, wird ihr nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Karl Steininger (Uni Graz): „Um die vorhandenen Strukturen zu verändern, sind alle gesellschaftlichen Kräfte gefordert. Ohne kritische wissenschaftliche Analyse, ohne Unternehmen, die sich für klimafreundliches Leben einsetzen, und ohne an Allgemeinwohl und klimafreundlichem Leben orientierte Interessenvertretungen und Politik sind die notwendigen Transformationen kaum umsetzbar.“
Andreas Novy (WU Wien) konkretisiert: „Weil es unterschiedliche wissenschaftliche Zugänge, Theorien und Werthaltungen gibt, braucht es den Dialog in Wissenschaft und Politik. Entscheidend wird in den kommenden Jahren sein, ob es der Klimapolitik gelingt, auch die Grundversorgung aller sicherzustellen und damit zum sozialen  Zusammenhalt und zur Klimagerechtigkeit beizutragen.“
 Andreas Muhar (BOKU Wien), der als Mitherausgeber das Kapitel zu Transformationspfaden koordinierte, ergänzt: „Unterschiedliche Transformationspfade werden in politischen Debatten oft als sich gegenseitig ausschließend diskutiert, tatsächlich wäre es zielführend, die Potenziale aller Pfade zu nutzen, weil damit auch eine größere Zahl an Akteursgruppen angesprochen und einbezogen werden kann.“

Hintergrundinformation: APCC Special Reports

Das Austrian Panel on Climate Change (APCC) wurde auf Initiative des Klima- und Energiefonds gegründet und vereint renommierte Expert:innen der österreichischen Klimaforschungsgemeinschaft, die regelmäßig den aktuellen Stand der Forschung zum Klimawandel Österreich zusammentragen.

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