Stresstests für Kernkraftwerke
Unmittelbar nach der Katastrophe von Fukushima hat der Europäische Rat eine umfassende und transparente Risiko- und Sicherheitsbewertung aller kerntechnischen Anlagen (Stresstests) in der Europäischen Union (EU) gefordert.
Zunächst einmal sei daran erinnert, dass der damalige österreichische Umweltminister bereits zwei Tage nach Beginn der katastrophalen Ereignisse im Kernkraftwerk Fukushima Da-ichi Stresstests für europäische Kernkraftwerke gefordert hat. Am 14. März 2011 hat er sein Konzept dem europäischen Umweltministerrat vorgestellt und an den zuständigen Kommissar übermittelt. Am 15. März 2011 lud der Kommissar dann Politik, Verwaltung und Industrie zu einem hochrangigen Treffen, bei dem er die Durchführung von Stresstests zur Diskussion stellte. Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs vom 24./25. März 2011 hat dann gefordert, dass die Sicherheit aller kerntechnischen Anlagen der Europäischen Union mittels einer umfassenden transparenten Risiko- und Sicherheitsbewertung („Stresstest“) überprüft werden solle.
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete die WENRA (Western European Nuclear Regulators‘ Association), ein Zusammenschluss der Leiterinnen und Leiter der nationalen Nuklearaufsichtsbehörden Europas, bereits an technischen Spezifikationen (Definitionen, Prüfkriterien, etc.) mit den Themen Auswirkungen von extremen Naturkatastrohen, Verlust aller Sicherheitsfunktionen eines Kernkraftwerks und Management schwerer Unfälle. Nach einer kurzen öffentlichen Begutachtung übernahm ENSREG, die europäische hochrangige Gruppe für nukleare Sicherheit und Abfallentsorgung, die Finalisierung der technischen Spezifikationen und die Ausarbeitung der Durchführungsmodalitäten. ENSREG, einschließlich der Europäischen Kommission, hat die Stresstests als gezielte Neubewertung der Sicherheitsreserven von Kernkraftwerken – in den untersuchten Themen und über die bewilligte Auslegung hinaus – definiert. Die Stresstests stellen also keine umfassende Sicherheitsüberprüfung dar. Dies wäre in dem vom Europäischen Rat vorgegebenen Zeitrahmen nicht realisierbar gewesen.
Am 1. Juni 2011 begannen dann die Stresstests für europäische Kernkraftwerke. Mit dem dreistufigen Verfahren – Berichte der Betreiber, Überprüfung durch nationale Behörden und gesamteuropäische Peer Review unter Mitwirkung auch der Nicht-Betreiberstaaten – wurde ein neuer und genuin europäischer Ansatz implementiert. Österreich war in allen Phasen, sowohl mit Experten als auch auf Managementebene aktiv involviert. Der Aufwand für die Stresstests war enorm, insgesamt rund 100 Personenjahre. Der Peer Review Report zu den Stresstests sowie alle Länderberichte wurden am 25. April 2012 von ENSREG gebilligt und anschließend veröffentlicht.
Der Europäische Rat vom 28. und 29. Juni 2012 hat dann die Mitgliedstaaten aufgefordert, die vollständige und fristgerechte Umsetzung der Empfehlungen des Berichtes der ENSREG sicherzustellen. In der Folge verpflichteten sich die Betreiberstaaten, nationale Aktionspläne auszuarbeiten. Diese Aktionspläne wurden mehrfach aktualisiert und zweimal, 2013 und 2015, einer Peer Review unterzogen.
Im November 2015 hat ENSREG eine Erklärung zum Fortschritt betreffend den Stand der Umsetzung der nationalen Aktionspläne abgegeben. Im Rahmen dieser Erklärung haben sich die Betreiberstaaten verpflichtet, bis 2017 über den Stand der Umsetzung zu berichten. Ende 2019 wurden die nationalen Aktionspläne nochmals aktualisiert. Die Umsetzung aller Maßnahmen ist allerdings bis heute – 10 Jahre nach der Katastrophe von Fukushima – nicht abgeschlossen. Österreich drängt daher weiterhin darauf, dass dies rasch und vollständig erfolgt. Hinsichtlich der Transparenz der Stresstests für Europa wurden neue Maßstäbe gesetzt. Interessierte wurden und werden über die Website der ENSREG laufend informiert. Alle relevanten Dokumente/Berichte zum Stress Test Prozess wurden und werden über diese Internetseite zugänglich gemacht. Darüber hinaus wurde der Öffentlichkeit wiederholt die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt – sowohl über die Internetseite als auch im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen. Dies ist nicht zuletzt den österreichischen Bemühungen zu verdanken.
Für Österreichs Nachbarstaaten wurde eine umfangreiche Auswertung der Stresstests durch Expertinnen und Experten in Auftrag gegeben. Diese Auswertung zeigt, dass auch in allen Nachbarstaaten Österreichs noch Themen offen sind. Die Umsetzung der als besonders wichtig eingeschätzten Maßnahmen wird daher auch in den kommenden Jahren zu verfolgen sein. Den rechtlichen Rahmen dafür bieten die bilateralen Nuklearinformationsabkommen.
Die Behandlung terroristischer Bedrohungen erfolgte in einer zweiten Schiene ("security track") – neben dem "safety track" – im Rahmen einer ad-hoc Arbeitsgruppe.
Vor allem im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung wurde auch eine "third track" zur Verbesserung von Notfallvorsorge und Notfallmanagement außerhalb der Anlagen gefordert. Als ersten Schritt hierzu hat die Europäische Kommission eine Bestandsaufnahme in Auftrag gegeben, die 2014 veröffentlicht wurde (Review of Current Off-site Nuclear Emergency Preparedness and Response Arrangements in EU Member States and Neighbouring Countries).
In diesem Zusammenhang ist auch auf ein gemeinsam von den Heads of the European Radiological Protection Competent Authorities (HERCA) und der Western European Nuclear Regulators Association (WENRA) im Oktober 2014 publiziertes Dokument zum Notfallmanagement (HERCA-WENRA: "Approach for a better cross-border coordination of protective actions during the early phase of a nuclear accident") zu verweisen. Die Tatsache, dass selbst bei intensivstem Bemühen und größter Sorgfalt schwere Unfälle in Kernkraftwerken nicht ausgeschlossen werden können – eine Einsicht, mit der sich Österreich bis dahin mitunter allein auf weiter Flur befand – wird in diesem Dokument explizit bestätigt.
Ebenfalls als Folge von Fukushima wurde das europäische und internationale Regelwerk (Konvention über Nukleare Sicherheit, Euratom-Richtlinien, technische Sicherheitsanforderungen) verschärft und verbessert.
Auswertung der Stresstests (in Englisch)
- Deutschland (PDF, 457 KB)
- Schweiz (PDF, 502 KB)
- Slowakei (PDF, 508 KB)
- Slowenien (PDF, 489 KB)
- Tschechische Republik (PDF, 588 KB)
- Ungarn (PDF, 522 KB)