Rechtsgutachten bestätigt: Kernenergie ist keine „grüne“ Investition

Das vom Bundesministerium beauftragte Rechtsgutachten bestätigt, dass die Kernenergie auch aus rechtlicher Sicht den Anforderungen der Taxonomie-Verordnung nicht entspricht.

Zum Rechtsgutachten

Im Juni 2020 wurde auf europäischer Ebene die Taxonomie-Verordnung beschlossen. Diese legt fest, dass nur jene Wirtschaftstätigkeiten grün sind, die einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Umweltziele leisten. Gleichzeitig dürfen sie andere Umweltzieleziele nicht erheblich beeinträchtigen.

Die Taxonomie schafft einheitliche Kriterien, um grüne Wirtschaftstätigkeiten zu klassifizieren. Für Österreich ist es ganz besonders wichtig, dass diese Kriterien wissenschaftsbasiert und glaubwürdig sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher wissen, wo sie ihr Geld anlegen.

Weitere Informationen: EU-Taxonomie und Sustainable Finance.

Hinweis

Das Bundesministeriumhat die renommierte Kanzlei „Redeker Sellner Dahs“ mit der Prüfung rechtlicher Aspekte des Vorgehens der Europäischen Kommission und einer allfälligen Einstufung der Kernenergie als nachhaltig im Sinne der Taxonomie-Verordnung beauftragt. Dieses Gutachten zeigt ganz klar auf, dass die Kernenergie auch aus rechtlicher Sicht den Anforderungen der Taxonomie-Verordnung nicht entspricht.

Die Rechtsexpertinnen und –experten der Kanzlei „Redeker Sellner Dahs“ führen mehrere Gründe für ihre Ablehnung an:

  • In der Taxonomie-Verordnung ist Kernenergie in der Liste jener Tätigkeiten, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, gar nicht enthalten.
  • Kernenergie kann im Sinne der Taxonomie-Verordnung weder als „ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit“ noch als „Übergangstätigkeit“ angesehen werden. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde der ursprünglich neben Erneuerbaren Energien angeführte Punkt „klimaneutrale Energie (inklusive CO2-neutrale Energie“) ersatzlos gestrichen.
  • Mangelnde Widerstandsfähigkeit der Kernenergie gegenüber Auswirkungen des Klimawandels.
  • Massive Umweltrisiken der Atomkraft, die den Nachhaltigkeits-Kriterien der Taxonomie-Verordnung entgegenstehen, sowohl durch den Uranabbau, als auch während des Betriebs durch die Gefahr schwerer Unfälle und auch in der Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll.
  • Jeder Rechtsakt, der auf der Grundlage der Taxonomie-Verordnung erlassen wird und die Kernenergie irgendwie in die europäische Taxonomie einbezieht, wäre vor den EU-Gerichten anfechtbar.

Zur Studie

Das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Technologie und Innovation (BMK) hat bereits 2020 eine Studie bei Univ. Prof.in Dr.in Sigrid Stagl (Wirtschaftsuniversität Wien) beauftragt, die eine objektive Beurteilung der Kernenergie im Zusammenhang mit den Kriterien der Taxonomie-Verordnung vornimmt. Ergänzend wurde im Sinne eines weiter gefassten Nachhaltigkeitsbegriffs auch die Frage der wirtschaftlichen Tragfähigkeit betrachtet.

Auch diese Studie bestätigt die österreichische Position: Klimaschutz gelingt nur ohne die Kernkraft. Die Kernenergie erfüllt nicht die Taxonomie-Voraussetzung „Do No Significant Harm“ betreffend alle in der Taxonomie genannten Umweltziele. Sie entspricht nicht den internationalen Sozialstandards, die im Rahmen der Taxonomie vorausgesetzt werden. Die Kernenergie geht weiterhin einher mit Risiken nuklearer Unfälle, Risiken des Uranabbaus, finanziellen und regulatorischen Risiken, ungelösten Fragen der Abfallentsorgung und Bedenken hinsichtlich der Verbreitung von Kernwaffen. Energieeffizienz und erneuerbare Energien tragen weit mehr zur Senkung von CO2-Emissionen bei als die Kernenergie.

Warum Kernenergie nicht „grün“ ist

Die Kernenergie ist weder eine nachhaltige Form der Energieversorgung noch stellt sie eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Klimawandels dar. Sowohl das Verursacherprinzip als auch das Vorsorgeprinzip werden bei der Kernenergienutzung verletzt.

„Nachhaltige Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Brundtland Report, 1987

Wegen des relativ geringen Ausstoßes von CO2 wird die Kernenergie in der Klimadiskussion in zunehmender Weise als sauber, umweltfreundlich oder „grün“ dargestellt.

Nachstehend einige der wichtigsten Argumente, die gegen die Kernenergie sprechen – vor allem gegen deren Nachhaltigkeit und somit auch gegen eine Klassifizierung als „grün“ Investition.

Radioaktive Abfälle

Die sichere und dauerhafte Entsorgung hochaktiver, radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente ist nach wie vor ungelöst. Bis heute ist kein einziges Endlager für derartige Abfälle in Betrieb – weltweit. Aber selbst wenn in absehbarer Zeit derartige Endlager in Betrieb genommen werden sollten, so kann mit heutigem Wissen der sichere Einschluss, der für hunderttausende von Jahren erforderlich ist, nicht garantiert werden.

Brennstoffverfügbarkeit

Uran und auch Thorium sind letztlich nur begrenzt verfügbar. Der sogenannte „Brennstoff­kreislauf“ existiert nicht. Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente kann nicht beliebig oft wiederholt werden. Darüber hinaus ist die Wiederaufarbeitung mit erheblichen Sicherheits-, Gesundheits-, Umwelt-, und Weiterverbreitungsrisiken behaftet. Der Übergang zu Brütertechnologien würde diese Risiken noch vervielfachen.

Nukleare Sicherheit

Schwere Unfälle mit weitreichenden Auswirkungen können nach wie vor nicht ausgeschlossen werden. Der vielfach vorgenommene Vergleich von Energieträgern an Hand von Unfalltoten pro erzeugter Kilowattstunde (KWh) ist irreführend. Dabei werden nicht nur die Unbewohnbarkeit weiter Land­striche auf Generationen außer Acht gelassen, sondern auch die tatsächlichen Schadens­kosten. Diesbezüglich sei auf die Arbeiten des Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN) verwiesen, das für einen schweren Unfall in Frankreich Folgekosten von über 400 Milliarden Euro errechnete.

Komplementarität der Kernenergie

Die Behauptung, dass sich erneuerbare Energieträger und die Kernenergie bei der Strom­erzeugung ergänzten, da Strom aus Kernenergie die Variabilität der Verfügbarkeit erneuer­barer Energieträger ausgleiche, ist unrichtig. Kernkraftwerke können nur sehr bedingt im Lastfolgebetrieb betrieben werden und sind für häufige und rasche Lastwechsel vollkommen ungeeignet. Angesichts der hohen Fixkosten von Kernkraftwerken würde sich die Unwirt­schaftlichkeit bei Lastfolgebetrieb weiter erhöhen. Somit ist bei einem verstärkten Einsatz von Kernenergie von einer Verdrängung von erneuerbaren Energieträgern auszugehen; nicht von einer Ergänzung.

Technologische Entwicklung

Da die Dekarbonisierung der Energiesysteme rasch erfolgen muss, ist die Hoffnung auf baldige Entwicklung/Realisierung neuer Technologien, sei es zur nuklearen Stromerzeugung, sei es zur Behandlung hochaktiver, radioaktiver Abfälle oder abgebrannter Brennelemente, nicht gerechtfertigt. Trotz hoher staatlicher Förderung und jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung sind die bislang erzielten Fortschritte eher als bescheiden einzustufen; baldige technologische Durchbrüche nicht zu erwarten. Darüber hinaus wäre dieser Hoffnung auf technologischen Fortschritt die technologische Entwicklung bei erneuerbarer Energieträgern und Speichertechnologien entgegenzuhalten.

Weiterverbreitung von Kernwaffen

Ein Ausbau der Kernenergie erhöht zwingend die Gefahr der Weiterverbreitung von Kern­waffen. Fast jede Form von Plutonium kann zur Herstellung von Waffen verwendet werden. Das sogenannte "waffenfähige" Plutonium stammt aus Kernkraftwerken, bei denen die Brennelemente nach relativ kurzer Zeit entfernt werden. Selbst leicht angereichertes Uran ist ein Ausgangsmaterial für waffenfähiges Uran. Jedes Kernenergieprogramm muss daher von einer lückenlosen Sicherheitskontrolle begleitet werden. Dies erhöht zusätzlich die volkswirt­schaftlichen Gesamtkosten.

Was bedeutet das für den Klimaschutz?

Die Kernenergie ist zu teuer, ein deutlicher Ausbau dauert viel zu lange und die Nachteile wiegen viel schwerer als die geringeren CO2-Emissionen. Daher darf die Kernenergie auch nicht als gesamteuropäische Antwort auf den Klimawandel oder als gemeinsames Anliegen dargestellt werden.